Schon lange bevor Ty hier einzog, habe ich mich ausgiebig mit dem Thema Rudelhaltung beschäftigt. So stieß ich damals auf die DVD "Rudelharmonie" von Anita Balser. Ich war da schon ziemlich begeistert, mit welch einfachen Mitteln man so viel erreichen konnte. Zum Glück hatte ich nie Probleme innerhalb meines Rudels, weder mit Drover und Indi, noch als Ty dazu stieß. Ich denke, das liegt daran, dass ich immer schon in Ansätzen nach HTS-Prinzipien gelebt habe. Meine Hunde haben wirklich viele Freiheiten und ich bin ihnen gegenüber sehr positiv eingestellt, aber ich sage ihnen auch sehr deutlich, wenn ich etwas nicht möchte, bzw. wenn etwas MEINE Entscheidung ist. So lasse ich es auch nicht zu, dass da irgendwas "unter sich geregelt" wird. Nicht, dass es da viel zu regeln gäbe 😆 Es ging mir beim Ansehen der DVD mehr um das Zerren an der Leine mit mehreren Hunden und solche Sachen. Da hat uns die DVD schon Meilen nach vorne gebracht. Und doch gerät Vieles mit der Zeit wieder in Vergessenheit.
Das Ty-lchen stieß zu unserem Rudel und er verhielt sich von Anfang an anders als Drover. Er ist einfach ein ganz anderer Charakter und geht auch mit der Welt ganz anders um. Er ist ein genialer Hund, der seine Aufgaben sehr ernst nimmt. Und irgendwie sah er es als seine Aufgabe an, der Polizist des Rudels zu sein. Bei Außenreizen (Hundebegegnungen, bestimmte Menschen) nahm er auf Spaziergängen gerne Position ein, machte sich groß und stolzierte vorbei, häufig auch mit entsprechender akkustischer Untermalung. 🙄 Man darf sich das jetzt nicht so vorstellen, als hätte er geifernd in der Leine gehangen. Er ist nur kurz an Ort und Stelle explodiert und ging dann locker weiter. Toll. Ganz toll. Letztendlich alles nur Show, denn wenn er zum Reiz hin durfte/konnte, war er wieder der freundlichste und kasperigste Hund.
Was hat mich das genervt! Drover und Indi haben nie so ein Palaver an der Leine gemacht und Ty ließ mich wie den letzten Idioten aussehen. Ich habe es auch nicht geschafft, ihn entspannt und ruhig zu bekommen. Meine erste Reaktion war natürlich, ihn anzumachen. Dem folgte ablenken, beruhigen, click für Blick - nichts brachte in irgendeiner Form Besserung. Die meiste Zeit befanden sich Drover und Ty sowieso im Freilauf. Bei Hundbegnungen rief ich sie zurück, Drover ging in Freifolge, Ty an der Leine dran vorbei. Der Rückruf war auch überhaupt kein Problem, selbst wenn ein Hund plötzlich auftauchte. Bzw. war er bei Drover kein Problem, Ty ist mir in seinen fast 3 Lebensjahren vielleicht 7-8 Mal dann doch hingerannt, wenn ich zu spät reagiert habe. Und auch wenn da nichts passiert und unsere Quote immer noch super ist, ist das für mich ein absolutes NoGo.
Mein erklärtes Ziel war/ist, dass ich mit beiden Jungs OHNE Leine an anderen Hunden vorbei komme, auch wenn sie diese vor mir sehen. Ich wusste, das Ty das kann. Er hat ja eigentlich gar kein Problem mit anderen Hunden. Das war vielleicht Jammern auf hohem Niveau, aber das ist für mich die größtmögliche Freiheit für mich und mein Rudel. Und wir waren ja schon gar nicht so weit davon weg. Und so stieß ich dann auf die neuere DVD von Anita "Die große Freiheit" von der HundeTeamSchule. Vieles kannte ich bereits aus der Rudelharmonie, es wurde aber nochmal aufgefrischt und ergänzt. Und so begann ich nach HTS zu arbeiten.
Innerhalb kurzer Zeit waren wir so weit, dass wir an anderen Hunden vorbei kamen, ohne dass Ty an der Leine auslöste. Ich merkte aber immer noch, dass er unentspannt in der Begegnung war und im Freilauf konnte ich mich in Hundebegegnungen auch nicht zu 100 % auf ihn verlassen.
Ich war SO HAPPY, als ich spontan nachgerückt bin und einen Seminarplatz bei Anita und Linda für "Die große Freiheit" haben konnte. Wie soll ich dieses Seminar beschreiben? Ich bin schon auf vielen Seminaren gewesen, natürlich hauptsächlich Obedience, und da waren auch richtig richtig gute dabei. Aber so etwas habe ich noch nicht erlebt. Es hat einfach richtig click bei mir gemacht. Als ich am Samstag nach Hause kam, war ich fix und fertig. Mein Kopf hat regelrecht geraucht. Die erste Erkenntnis war (wie sollte es auch anders sein), dass ich das Problem bin, weil ich viel zu viel denke. Die zweite Erkenntnis war, dass grade Ty absolut im Modus "Lernen" gefangen ist und in manchen Situationen überhaupt nicht mit mir kommuniziert, sondern nur erlerntes Verhalten abspult. Da muss ich ihn erstmal rausbekommen.
Ein kleines Beispiel fürs bessere Verständnis: Ich will die Jungs aus dem Auto holen. Nach der DVD wusste ich, da sollen sie mir erstmal Raum geben, bevor ich sie raus lasse. Es war ja auch nervig, dass sie beide versuchten, als erstes raus zu kommen. Daran haben wir gearbeitet und das war auch kein Problem mehr. Dachte ich. Was war aber passiert? Die Jungs haben gelernt, wenn sie brav sitzen bleiben, lasse ich sie raus. Es war konditioniertes Verhalten. Sie haben NICHT mit mir kommuniziert und akzeptiert, dass der Raum um den Ausstieg mir gehört und sie sich deshalb aktiv zurücknehmen. Ihr habt keine Vorstellung, wie lange es am Samstag gedauert hat, Ty aus seinem erlernten Verhalten rauszuholen. Das war wirklich krass. Linda meine nur, ohne Ty zu kennen, er sei mit Sicherheit ein genialer Sporthund. Was er kapiert hat, zieht er durch. Bis zum Letzten. Was die Kommunikation in dem Moment aber nicht vereinfachte 😕
Am Sonntag ging es mit sozialem Spiel und Streicheleinheiten weiter, um neben der Arbeit am Respekt auch die Beziehungsarbeit nicht zu kurz kommen zu lassen. Am Nachmittag folgte die zweite Einheit zum Respekt und wir stellten uns der Freifolge. Die Jungs dürfen sich dabei hinter und neben mir frei bewegen, schnüffeln, lösen. Sie dürfen aber nicht in den Raum vor mir eindringen. Beide liefen dabei völlig entspannt mit sehr wenig Korrekturen hinter mir her, während ich mich angeregt unterhalten konnte, und sie kaum noch beachtete. Und dann kam die Hundebegegnung. Wir mussten an einem angeleinten Aussie-Rudel von 3 Hunden vorbei, die meine die ganze Zeit fixierten. Als Ty sie bemerkte, spannte er sich kurz an (was ich immer gut an seiner Atmung höre, hinschauen soll ich ja nicht mehr 🙄 ), nach einer kurzen Korrektur entspannte er jedoch und ich lief einfach zügig dran vorbei. Beide Jungs folgten mir. Die Trainerin schilderte mir danach, dass Ty die Hunde nur kurz angeschaut hätte, sich dann aber an mir orientierte und mir einfach folgte. Und das ist wohl das Geheimnis. Wenn ich mich in Hundebegegnungen anspanne, weil ich eine Reaktion von ihm erwarte, und ihn dann auch noch ansehe, erteile ich ihm ja schon fast den Auftrag, sich darum zu kümmern. Wie schon gesagt, ICH bin das Problem. Ich muss mich entspannen und Vertrauen in mich und meine Jungs haben.
Es ist Dienstag. Das Seminar ist keine 2 Tage her. Was haben wir erreicht? Drover und Ty laufen, außer an der Straße, permanent in der Freifolge. Ich habe sie nicht einmal angeleint. In keiner Hundebegegnung, bei keinem Außenreiz. Wir sind entspannt an Radfahrern, Horden kleiner Kinder, die wild mit Stöcken hin und her rannten, angeleinten und dabei geifernden Hunden, entspannt freilaufenden Hunden vorbei gekommen. Kein einziges Mal hat einer der Jungs versucht, sich dem Reiz zu nähern. Kein einziges Mal hat Ty ausgelöst. Jedes einzelne Mal haben sie sich an mir orientiert und sind mir gefolgt. Wenn ich souverän führe, vertrauen mir auch meine Hunde. Noch sind wir in der Freifolge. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir uns dem Freilauf schnell wieder nähern werden 🙂